Quantcast
Channel: Dogs & Garden » Tierisches Gästebuch
Viewing all articles
Browse latest Browse all 9

Wer hat das denn gebucht?!

$
0
0

Gestern nach dem Spätprogramm, es war schon nach elf Uhr, lasse ich die Hunde noch ein letztes Mal vor die Tür. Es ist schon recht fröstelig. Dankbar wickele ich also meine warme Jacke etwas fester um mich und schaue in die Nacht.

Da höre ich heiser-klagende Laute. Ich drehe mich einmal um mich selbst, um die Richtung herauszufinden. So in tiefer Dunkelheit spielt einem die Orientierung so manchen Streich. Dinge stehen plötzlich im Weg, die vorher nicht da waren, Türöffnungen verschieben sich hämisch ganze Meter zur Seite, Lichtschalter verschwinden ins Off.

Die Ohren täuschen jedoch nicht: Die atemlosen Stimmen kommen tatsächlich von steil oben. Da ziehen Vögel vorüber! Um diese Zeit! Die Wildgänse. Das entscheide ich, nachdem ich den sternübersäten Himmel gründlich abgesucht habe und die V-Formation schemenhaft heranfliegen sehe. Lange Hälse machen sie, sie klingen nicht glücklich.

Der lexikalischer Einschub für ganz Schlaue

Wildgans, die
ist ein ungenauer Terminus für die Familie der wild lebenden Gänsevögel, die sich in die Gattungen Anser (“Graugänse”) und Branta (“Schwarzgänse”) unterteilt. Neben der Saatgans, Blessgans und Schneegans (alle Anser) sieht man auch gelegentlich die Weißwangengans und Ringelgans (beide Branta) in unseren heimischen Überwinterungsquartieren. Die Brandgans ist keine Gans sondern eine Entenverwandte.

Meine Gänse da oben sind wohl Norweger oder Schweden, schätze ich, oder Bewohner des hohen, unwirtlichen, arktischen Nordens darüber, wie auch immer er heißen mag. Und sie sind früh dran. Sie haben wohl Vorsaison gebucht, um billiger dabei wegzukommen. So, wie es sich anhört, bietet die Reise nicht ganz das, was der Prospekt versprochen hat. Ich sehe es vor mir:

5 Monate Auenlandschaft Niederrhein mit Hin und Rückflug und all-inclusive zum Schnäppchenpreis von 5 Eiern!

Bumpy-Air nimmt Sie auf einen einmaligen Panoramaflug von Lappland an den milden Niederrhein. Nach dreiwöchigem Zwischenstopp auf der Plöner Seenplatte geht es weiter über dramatische Heidelandschaft, malerische Mittelgebirgszüge, Wälder und Talsperren. Betrachten Sie Hamburg bei Nacht, die wild-romantische Lüneburger Heide, den berühmten Vogelpark Walsrode, erleben Sie den Nervenkitzel bei der Überquerung des Mittellandkanals und des wilden Teutoburger Waldes, bewundern sie die lauschigen Talsperren des Sauerlandes. Ab Bonn geht es am schönen Rhein entlang direkt zu unserem Winterquartier im Ried des Niederrheins. Ruhige, kleine Seeidyllen bieten Ihnen hier während ihres viermonatigen Aufenthaltes die Entspannung, die Sie verdienen. Professionelle Wellness-Anwendungen, reichhaltiges Futter und fuchssichere Schlafplätze runden unser Angebot ab. Legen Sie noch heute, sonst könnte es zu spät sein!”

Das Geschnatter hört man bis hierher, obwohl die Vogelkörper die Größe von Mücken haben!

Weiterer lexikalischer Einschub:

Geschnatter, das
Zum so genannten Gänsegeschnatter kommt es, weil sich Familienangehörige gegenseitig suchen und finden wollen. Da sich Gänse im Winter zu mehreren Tausend Vögeln auf beliebten Überwinterungsquartieren niederlassen, kann das Finden etwas dauern und muss das Rufen so laut sein, dass es das Rufen der anderen Gänse sicher übertönt. Die lauten Rufe der Saatgans, „gaga“ oder „agagag“ erklingen am häufigsten, da sie nun einmal der häufigste Gast bei uns ist. Die Gänse sind auf Wiesen und Getreidefeldern auf Nahrungssuche, wo sie nach Wurzeln, Getreide, Gräsern und Ernteresten suchen. Sehr gern nehmen sie auch Mais und Rübenschnitzel an. Ein atemberaubendes Naturschauspiel bietet sich dem Vogelfreund in der Dämmerungsstunde, wenn laut rufende (!) Wildgänse in Bändern und Ketten-Formation zu ihren Schlafplätzen fliegen.

Die Schreihälse über mir sind eindeutig Saatgänse, schließe ich messerscharf. Hören Sie doch auch einmal hin, wie sie die Reiseleitung strapazieren!

 “Akka! Von Übernachtflügen war im Prospekt nie die Rede!” – ” Lies das Kleingedruckte!”

“Akka! Hätten wir nicht schon längst am Rastplatz ankommen müssen?” – “Immer mit der Ruhe, die Richtung stimmt!”

“Akka! Ich kann meine Flügel nicht mehr fühlen!” – “Wenn du in mein Alter kommst, bist du froh darüber!”

Mich wundert nur, dass sie nachts fliegen. Sehen sie dann überhaupt was, und warum verfliegen sie sich nicht?

Noch ein paar lexikalische Einschübe:

Nachtflug, der
Auf den meisten Herbst- und Frühlingszügen fliegen die Vögel eher bei Nacht als bei Tage. Weil das Wandern so viel Energie verbraucht, müssen die Vögel fressen können. Das tun sie bei Tag während ihrer Rast. Durch die Nachtflüge vermeiden sie außerdem Begegnungen mit ihren Feinden. Dennoch gibt es auch Tagesflieger wie insektenfressende Arten, die sich auch im Flug versorgen können.

Orientierung, die

Vögel haben scharfe Augen und ein gutes Gedächtnis. Sie erinnern Flussverläufe oder Küstenlinien von früheren, angeleiteten Flügen, orientieren sich an Sonne und Sternen, möglicherweise spüren sie auch das Magnetfeld der Erde. Verschiedene Experimente mit Spiegeln und in einem Planetarium deuten auf diese unterschiedlichen Orientierungshilfen hin.

Die gute Orientierung ist dennoch ein Mysterium. Warum nutzte Noah eine Brieftaube, Moses ein paartausend Jahre später aber nicht? Hätte ihm vierzig Jahre Wüste erspart, dem alten Israeliten! Auf der andren Seite hätte er den Vogel wohl an eine Schnur binden müssen, weil der dem Treck sonst weggeflogen wäre. Und das wäre wohl Tierquälerei gewesen.

Übrigens scheinen Zugvögel ja wohl eine bewundernswerte Kondition zu haben. Auch bei wochenlangen Non-Stop-Flug über den Atlantik schwächeln die wenigsten. Eine Gans kann locker 800 km am Tag bewältigen. Meist nimmt sie sich aber lieber drei Wochen Zeit, um ihren Weg von ca. 1600 km zurückzulegen und hält mehrtagige Zwischenstopps. Eile mit Weile führt auch zum Ziel. Regelrechte Todesfallen sind jedoch Leuchttürme, Wolkenkratzer, hohe Denkmäler und Fernsehmasten.

Also, liebe Gänse, passt schön auf, wenn ihr am Ruhrpott, Köln und Frankfurt vorbeifliegt und bestellt einen schönen Gruß, wenn ihr am Sauerland vorbeikommt. Aber laut, meine Mami ist schwerhörig! Ansonsten wünsche ich “Guten Flug und Auf Wiedersehen im Februar”!

Copyright by Rike Menn


Viewing all articles
Browse latest Browse all 9